"Industrie 4.0 braucht Intelligenz im Kabel"

Herr Messerer, können Sie sich dem Hype um Schlagworte wie Industrie 4.0 und das Internet der Dinge entziehen?

MESSERER: Nein, und das möchte ich gar nicht. Industrie 4.0 ist ein cleverer Schachzug der deutschen Industrie. Weil dahinter steht, wie wir in einem Hochlohnland langfristig produktiv im Wettbewerb bestehen. Weil wir clever automatisieren, Prozesse optimieren und damit beste Qualität liefern. Wir sind hier ganz vorne dabei, immer besser zu werden. Mit immer höheren Taktzahlen, minimalen Nebenzeiten und einwandfreiem Output. Horizontal und vertikal vernetzte Produktionsstrukturen, Waren und Werkzeuge mit eigenem Gedächtnis, Mensch-Maschine-Kommunikation und direkte Interaktion zwischen Maschinen – da öffnet sich eine faszinierende neue Welt.

Kommt denn mit Industrie 4.0 tatsächlich die mancherorts prophezeite Revolution?

MESSERER: Das große Wort der Revolution halte ich für überzogen. Wenn wir auf dem Boden der Tatsachen bleiben, vollzieht sich ein Wandel, der die Fertigung nachhaltig verändern wird. Aber hier bricht nichts revolutionär über uns ein, sondern wir nutzen Chancen, die heute verfügbare Technologien erst möglich machen. Aber das Internet der Dinge wird ganz sicher kommen.

Wie kann man die Entwicklung in der Kabelbranche denn festmachen?

MESSERER: Lassen sie mich das in drei Phasen fassen. Vor mehr als drei Dekaden hatten wir kapazitätsarme Steuerleitungen, die pro Funktion eine eigene Leitung benötigten. Sprich: Wer 20 Sensoren adressierte, brauchte ein 20-paariges Kabel. Seit gut 25 Jahren haben sich Bussysteme etabliert – ein Kabel kann viele Teilnehmer ansprechen, weil Adressen hinterlegt sind. Jetzt, mit Industrie 4.0 stößt der Feldbus an seine Grenzen.

Porträt Horst Messerer
(© HELUKABEL)

Ist der Feldbus damit am Ende?

MESSERER: Keineswegs, er bekommt nur seine Grenzen aufgezeigt. In der Buswelt reden wir von Datenraten im Bereich von 1 bis 20 Mbit und bestenfalls Reaktionszeiten von 20 ms. Echtzeitkommunikation aber braucht ein reaktionsfreudigeres Medium mit Antwortzeiten kleiner 100 μs und Datenraten im Bereich von 100 Mbit und mehr.

Was ist die Antwort auf diese hohen Anforderungen?

MESSERER: Das ist – bezogen auf die Kabeltechnologie – das Industrial Ethernet. Egal ob Profinet, Ethernet/IP, EtherCAT, Powerlink oder SERCOS – die in der IT schon lange etablierten Protokolle halten in der Fabrik Einzug. Leider zeichnet sich dabei – wie im Feldbuskrieg der Achtzigerjahre – bis dato kein Standard ab. Fast ein Dutzend Lösungen konkurrieren derzeit um das Attribut Marktstandard.

Und lösen derzeit den Feldbus ab?

MESSERER: In manchen Fällen ja, aber nicht unbedingt. Immer dann, wenn es um schnelle Taktung geht, ist das Industrial Ethernet dank seiner Leistungsdaten im Vorteil. Aber wer braucht schon in einer Raffinerie mit lang andauernden Prozessen millisekundengenaue Echtzeitkommunikation? In vielen Fällen hat der Feldbus nach wie vor eine Zukunft und diverse Bussysteme haben auch noch weitere Zuwächse zu verzeichnen. Das Industrial Ethernet ist ja auch nicht ganz neu. Schauen wir auf die Marktentwicklung, dann sehen wir, dass erst 2014 die Feldbus-Applikationen einen Dämpfer erhalten haben und das Industrial Ethernet überproportional wächst. Also sind wir erst im vergangenen Jahr an einem Wendepunkt angelangt.

Das hat aber Konsequenzen für einen Kabelhersteller ...

MESSERER: In der Tat. Wir brauchen bei HELUKABEL für jedes Protokoll das passende Kabel. Leider sind Kabel im Blickwinkel des Anwenders ein C-Teil, jedoch von der Funktion her in der Automatisierungstechnik tatsächlich ein A-Teil. Das lässt sich an Beispielen ganz gut festmachen.

Welche Beispiele sind das?

MESSERER: Herausragendes Beispiel sind Ethernet-Hybridleitungen wie die in diesem Heft vorgestellte HMCB500S, die in zwei separaten Adern Strom und Daten transportiert. Das stellt höchste Anforderungen an Schirmung, elektromechanische Verträglichkeit und Konfektionierung. Schließlich darf der Datenfluss in keinem Fall gestört werden. Wir reden also von immer höheren Anforderungen, über Themen wie Rückflussdämpfung als Qualitätsmerkmal, über das Verhältnis von Kabeldämpfung zur Nebensprechdämpfung in Abhängigkeit von der Frequenz. Wir Kabelhersteller bewegen uns im Bereich der Hochfrequenztechnik. Das fordert insbesondere unsere Produktion. Immer genauer und feinjustierter müssen unsere Produkte werden. Zweites Beispiel sind Kabelsysteme für die neuen Digitalgebersysteme mit der Schnittstelle Hyperface DSL. Bisher wurden Servomotoren und Umrichter mit je einer Leitung für die Leistungsübertragung und für die Übertragung der Lageinformationen verbunden. Die neuen Gebersysteme ermöglichen künftig Einkabellösungen. Unsere Servoleitungen TOPSERV Hybrid in den Ausführungen PUR für hochdynamische Schleppkettenanwendungen und PVC für bedingt schleppkettenfähige Anwendungen sind dafür ausgelegt.

Was ist die besondere Herausforderung?

MESSERER: Da das Paar für die Datenübertragung in die Servoleitung integriert wird, ist die Haltbarkeit des Datenschirms von besonderer Bedeutung. Tests an neuen Leitungen sind nur bedingt aussagekräftig, da die Qualität des Schirms im Laufe des Einsatzes in einer Schleppkette nachlässt. Besonderes Augenmerk haben wir deshalb auf Qualität und Lebensdauer des Kupferschirms gelegt, der das Datenpaar vor den Störungen der Leistungsadern schützt.

Wie stellt HELUKABEL die Dauerhaltbarkeit sicher?

MESSERER: Dafür haben wir unsere Folterkammer am mittelfränkischen Standort Windsbach. Im Testzentrum mit Schleppketten- und Torsionsprüfanlagen erfolgt die Stressbelastung. Beispielsweise haben wir dort Hybridleitungen in einem hochdynamischen Schleppkettentest mit über fünf Millionen Zyklen auf die Probe gestellt. Weil die Beanspruchung von Leitungen von Parametern wie Verfahrweg, Biegeradius, Geschwindigkeit und Beschleunigung abhängt, brauchen wir diese Daten vom Kunden. Desto präziser die Angaben sind, desto detaillierter können wir die maßgeschneiderte Leitung auslegen. Dies lässt sich aber nicht berechnen, sondern nur empirisch ermitteln. Auch wenn wir umfangreiche Erfahrungswerte in einer Datenbank haben, braucht es immer den Test. Der Praxiseinsatz bestätigt dann die Haltbarkeit der Leitungen.

Gibt es für Sie eine Königsdisziplin?

MESSERER: Immer wenn wir über Automatisierung reden, dann sprechen wir über Robotik und Schleppketten. Da kommen dann schnell zu den elektrischen Anforderungen Themen wie Abriebfestigkeit, Biegefähigkeit, Medienbeständigkeit und Torsionsfähigkeit. Zudem kommt auf jeden Fall immer mehr Intelligenz in das Kabel. Das Kabel wird zum Rückgrat der Industrie 4.0. Denn ohne das feinmaschige Verbindungsnetz zwischen den unzähligen Komponenten in einer automatisierten Fabrik geht gar nichts.

Über Horst Messerer

Kabelexperte Horst Messerer, 46, ist seit Dezember 2014 bei HELUKABEL. In der Branche ist er aber seit über 28 Jahren präsent. Messerer: „Kabel sind mein Leben, mehr noch als die Motorräder, an denen ich mehr schraube, als dass ich sie fahre.“ Den Einstieg bei HELUKABEL bezeichnet er als die denkbar beste Entscheidung: „Wer wie ich aus einem Konzern kommt, ist beeindruckt, wie schnell Entscheidungen in einem Familienunternehmen fallen. Besonders schätze ich hier den Teamgeist.“ Messerer ist gelernter Industriekaufmann und Fachkaufmann für Marketing.

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